Winter in der Stadt

es hätte nicht schneien sollen
[wir wünschen uns nicht wirklich Schnee in der Stadt
Schnee auf den Straßen wird ganz schnell – na ja - unschön]
aber nun ist er da
der Schnee
er fällt fällt fällt
eintönig
er liegt liegt liegt
still
erst jungfräulich dann
wie alte braune Hefe
und irgendwie gewöhnen wir uns
an den weiß-braun gescheckten Kerl
Pippi Langstrumpfs Pferd
reitet durch die Stadt

www.picturepilot.de

Zustandsbericht

ein Fall zu viel
in die Haut genäht
rohe Angst

.

geflügelte Worte
stürzen
tief

.

Altern ist
Versickern von
[Über]mut


alle Jahre wieder

(c) jeannette frei
Erna ist ein verqueres altes Ding. Immer dann, wenn es bei anderen so richtig gemütlich wird und sie das Singen anfangen, trippelt Erna vor meiner Tür.
 
„Morjn, Erna!“ 


Weihnachten. Schon wieder ist ein Jahr vorbei gehuscht. Nur ein Mauseschwänzchen hat man gesehen, bevor das Jahr hurtig unter der Kommode verschwand.  Ernas Zeit vergeht schneller als die Zeit der anderen. Oder langsamer. Jedenfalls nie in dem Tempo, in dem Zeit vergehen sollte: schön gemächlich, so dass man noch mitkommt und nicht ständig aus der Puste gerät, aber nicht so langsam, dass man denkt alles stünde still.

Heute ist die Zeit wieder ein Schnellkochtopf, es zischt und brodelt, Erna kippt schier aus den Pantinen, so schnell kocht die Zeit. Sie muss noch einkaufen, bevor die Geschäfte schließen. Schnell, schnell. Sie weiß nicht, was. Aber das ist egal. Sie braucht was zum Beißen über die vielen Feiertage. Und was besonderes muss es sein. Man muss doch schließlich schmecken, dass Weihnachten ist. Von Butterbrot kann man schließlich noch den Rest des Jahrs leben.

Erna kippt aus den Pantinen, wurstelt sich hinein in die Stiefel. Schnaufend bückt sie sich bis die Fingerspitzen gerade so den Reißverschluss erreichen und zieht und zerrt. Das klemmt wieder, das Mistding. Dann hat sie das Ding in der Hand, das Ding, diesen Wurmfortsatz, mit dem man den Reißverschluss hochzieht. Sie weiß nicht, wie das Ding heißt. Der Reißverschluss ist zu, aber sie wird ihn nie wieder aufkriegen, denn das Ding ist ab. Sie schleudert das Ding verärgert in die Ecke. Mistding!

Sie greift den Geldbeutel. Das Kleingeld klimpert fröhlich, die Scheine rascheln vorfreudig. Sie grabscht sich die alte Plastiktüte, öffnet die Wohnungstür und zieht sie hinter sich zu. Wumm! Die ist zu. Wo ist der Schlüssel? Sie gräbt mit der knotigen Hand in der rechten Schürzentasche, sie schaufelt so dies und das ans Tageslicht: ein Schnupftuch, kariert, noch von ihrem Vater, eine verbogene Büroklammer, einen zerknitterten Einkaufszettel, ein abgegriffenes Tütchen Zucker. Aber keinen Schlüssel. War doch klar! Der ist drin geblieben, da, wo er hingehört, am Schlüsselbrett. Man muss ihn ja schließlich wieder finden. Da hängt er gut! Ja – und der Mantel hängt auch gut an der Garderobe im Flur.

Erna lässt sich ächzend auf der obersten Treppenstufe nieder. Kann nicht lange dauern, dann wird der Allerwerteste kalt und sie muss wieder aufstehen. Aber bis dahin …  Pause. Sie findet ein altes Bonbon in der linken Schürzentasche, dröselt mühsam das Papier auf  und stopft den Kleb in den Mund. Es klappert gegen die morschen Restzähne.

Während sie noch so sitzt kommt die Junge von nebenan mit tausend brandneuen Einkaufstüten die Treppe hochgeraschelt. Erna wischt verstohlen mit dem Pulloverärmel einen Tropfen von der Nase.

Die Junge guckt komisch, drückt sich grüßend vorbei und hinterlässt eine Duftwolke vom Feinsten. Es ist wie ein Giftgasangriff, nur dass Erna keine Schutzmaske parat hat. Sie zieht geräuschvoll die Nase hoch. Nur nichts verkommen lassen. Das Parfüm benebelt ihr Hirn und umwölkt ihre Denke. Sie ergibt sich wohlig dem Duft und träumt von Jugend und Verliebtheit. Sie schmeckt den süßen Lippenstift, hat die alten Schlager im Ohr, die Füße zucken ein bisschen im Takt und die Fingerspitzen zappeln, so, als ob sie gleich lostanzen wollten über die  Tasten des alten verstimmten Klaviers. Puppchen, du bist mein Augenstern …

Manchmal ist das Leben schön. Erna hat sofort einen ganzen Chor im Kopf, der die Schönheit des Lebens herbeiruft.

Vom Himmel hoch!, jauchzt eine Stimme los. Da komm ich her, summt Erna. Und bring euch gute, neue Mär, brummt ein Bariton von ganz tief unten.

Und Erna greift, wie von guten Mächten gelenkt, in die linke Schürzentasche. Da ist der Schlüssel. Geht doch!, nölt er. Geht doch! Und er lächelt Erna  silbern blinkend an, wie ein polierter Stern.

Du  mein schöner, glänzender Schatz, flüstert Erna und lächelt versonnen zurück. Sie streichelt  liebevoll über den kahlen Kopf des Schlüssels und erhebt sich ächzend.

Auf, auf in den Kampf, Torero!, schmettert es,  und Erna macht sich endlich auf den Weg zum Kaufladen.

Jeden Tag muss sie wie verrückt aufpassen, dass sie nicht durch die ganze Welt fällt, hinein ins Leere.

Für diesmal scheint die Gefahr gebannt. Sie fühlt Ernaglück im Bauch.


Frohe Weihnachten!


mann mit mütze

die mütze nützt
die mütze schützt

vor vereisung
vor vergreisung
vor verzweiflung
[über mangelndes haar]

hast du nicht gesehn

unter der mütze blitzt
verschmitzt
eine glatze

die Lösung

in meiner linken Hand
sollte ein kleiner Engel
schlafen

und ich wollte
unaufhörlich
unter allen Umständen
immer
darauf bedacht sein
ihn nicht aufzuwecken


schönes Schweigen

du gibst mir viele Worte
ich zeige dir mein schönes Schweigen

was sonst sollte ich dir schenken

ich fürchte
wir würden ausufern
absaufen
wenn ich dir all die Worte gäbe die
in meinem Schweigen treiben

schwerelos

Winterwald

großer Vogel
Habicht unter kalter Sonne
im Winterwald
auf kahle Äste gepuderte
Freude

www.picturepilot.de

es kommt

der himmel
grautuchverhangen
dahinter engelsposaunen
gedämpfter jubel
der background-sänger

weihnachten  wird kommen
wie jedes jahr
schneller
weiter
höher

fühlst du’s schon?