ich reise

Ich reise. In ein Land, dessen Sprache ich nicht verstehe, dessen Schrift ich nicht entziffern kann, dessen Geschichte mir fremd und dessen Gegenwart mir unverständlich ist. Seine Bewohner sehen anders aus, tragen aber das Herz am rechten Fleck, nämlich links. Der Himmel ist hier wie dort derselbe. Der Mond scheint hier und dort gleich. Die Sterne singen überall. Die Sonne steht morgens auf und geht abends unter. Alles ist anders ähnlich.

Ich wähle eine einfache Jacke, schlüpfe in offene Schuhe. Ich befeuchte den Zeigefinger und halte ihn in den Wind. Ich hänge die Fahne hinaus. Sie dreht sich gen Osten. Mein Kompass zeigt nördlich. Ich überfliege den Pol, wende mich dann nach Süden. Lande lächelnd in einem Land des Lächelns.

Bin dann eine Weile weg. Es wird still sein hier. Besucht mich wieder!

nur kurz

nur kurz / schau
draußen schon Dämmer / kurz
vorm Zubettgehn / müde
das Murren des Fliegers
in offner Balkontür / hell war
der Sommer / so schnell
vorbei / obwohl
ist doch erst / Frühling
erst Frühling

Ikarus

sich hoch erheben / schweben
weiße Pferde reiten / schwerelos
auf Himmelswellen / gleiten
unter der Sonne / trügerisch
und warm

stechend heiß?

Gestank / versengte Federn
ein Blick nach unten / fern die Erde
Gefühl von Ohnmacht / frei der Fall
und endlos / wildes Brausen
überall

Mauer-Blüten (Berlin 2013)

am Wegrand -
pflücken, was dir begegnet
roh verzehren
.

nie mehr Krieg -
der Star auf der Mauer singt
aus voller Brust
.

Zerfall in Raten
letzte Zeilen vor dem Abriss


Starkbier

Da lümmelt einer
Füße auf dem Sitz
Augen vernebelt
Ohren verstöpselt
Mund weit offen
Flasche im Hals

Es gluckert hell
Auf dem Etikett steht:
Dunkel

Löwenmond

Die Nacht holt ihre ganz eigenen Töne aus deiner Brust.  Atmen im Brachland. Ein Seufzen, das durch trockenes Gras fährt. Ein Stöhnen knorriger Äste. Ein träges Knurren, das den Tag vertreibt. Ein kurzer Laut, der sofort mit dem Dunkel verschmilzt.

Manchmal legt sich ein Löwe zu dir. Der schläft unruhig, wälzt sich, grollt wie fernes Gewitter, zuckt im Traum, greift nach dir mit seiner Pranke. Du bleibst unversehrt, denn es ist Nacht. Du schmiegst dich an seine Seite, horchst auf das Rasseln in seiner Brust. Hoffst, dass die Dämmerung ihn besänftigt erwachen lässt.

Teile deine Nacht nie mit einem, den du nicht liebst.
und jeden Morgen / tanzen
die Farben neu für mich
geleiten / blasser werdend
weichen / wenn's dämmert
Schatten / schmiegen sich
in meinen Arm

und jeden Abend / wiegen
mich traumlos / Träume
der Schaum der Tage
schillernd / Bäume
auf  ihren Kronen / ruhe ich
du hältst mich warm