Schlafmohn

Jeannette Frei: Schlafmohntuch, April 2012



































schlafmohn
breitet sein tuch. du lässt dich
fallen

daheim. zu besuch

frostgefahr.
geranien setzen ihr rotes signal. an der weißen wand
noch die umrisse der bilder.

du spürst
deine fehlende hand.

Das Gold

Herbstsonne, ihr Eindringen in den Raum, in dem ich bin, allein, ohne.
Das Nebeltuch wie fortgeblasen.Grau, golden übertüncht.
Gold auf dem Bild, Gold auf der Wand, Gold auf dem alten Holztisch, Gold auf den goldgelben Kissen des Sofas, Gold auf meinen geschlossenen Augenlidern. Herzgold. Das Gold der müde hängenden Blätter des Kirschbaums in Nachbars Garten. Das Gold der Bank draußen auf dem Balkon. Da sitzt es, das Gold, und ruht sich aus im eigenen Licht. Alter Mann, der seine vorletzte Zigarette raucht. Abendgold kommt von Westen, versinkt in Wolkenkissen, zögernd, zusammen mit der Sonne. Die beiden sind schon lange ein Paar. Schon ewig.

Foto: Isabella Kramer

frag dich

Bist du dir manchmal selbst fremd? Was tust du, um dich wieder mit dir anzufreunden?

Wenn du einen anderen verletzt, trifft es dann auch dich?

Wer antwortet dir, wenn du in dich hinein rufst? Gibt es ein Echo?

Wer zieht häufiger deine Gedanken auf sich? Dein Freund oder dein Feind?

Kannst du dir vorstellen, einfach liegen zu bleiben, wenn du fällst, und die Erde zu umarmen?

Kannst du dir vorstellen, blind, taub und stumm zu sein? Was wärst du dann?
Eine Pflanze? Ein Maulwurf?

Gab es Situationen, in denen du die Regenwürmer beneidet hast?

Siehst du manchmal nur noch schwarz?
Welche Farbe würdest du wählen, um dich selbst aus dem schwarzen Loch zu locken?

Herbst

heb' meine Augen
in dein Regengrau
Tropfen zerstieben / auf meinen Lidern
sammelt sich Herbstgold
bereit zum Abflug

tauch' meine Augen
in dein Nebelgrau
wie Tau legt sich's /auf mich
und breitet sich des Himmels
daunenleichte Decke

und über uns das Zeichen
der Flug der Gänse / pfeilschnell
geradewegs nach Süden

neuer entwurf

hier noch nicht / dort
nicht mehr / im alten
schon verwaschen / im neuen
erst grob / umrissen
ein erster entwurf

lass uns spielen

lass uns spielen
die jagd mit dem falken
richte den blick nach oben
hinter uns brennt
der dornbusch

mal bist du erster
mal bin ich vorn'
ein wenig außer atem
schadet nie

die zielgerade
winkt freundlich von fern
sie trägt eine narrenmütze
läutet narrenglöckchen
ihre ärmchen und beinchen
sind aus zündhölzern
zerbrechlich

gelobt sei
das fleckchen ruhe
am end'

fremdeln I

fremd bin ich / mir
und dir / so fremd

fremd steh ich / neben
uns / so fremd

fremd geh ich / fort



fremdeln


Das Leben
lärmt. Auf dem Papier
verstummen

leeres Blatt

Ein leeres Blatt ist hungrig. Es will beschrieben werden. Selbst wenn es nur ein virtuelles Blatt ist. Blatt ist Blatt. Weiß ist weiß. Leer ist leer. Und wenn du statt Schwarz auf Weiß lieber Weiß auf Schwarz schreibst, dann ist eben Schwarz leer und ist ein schwarzes Loch, das gefüllt sein will und alles aufsaugt, was in seine Nähe kommt, ohne sich je wirklich zu füllen.

Auch für den Schreiber ist es gut ein wenig hungrig zu sein. Ein leichtes Hungergefühl treibt die Gedanken vorwärts wie eine Herde Schafe, die hoffen, ein besonders wohlschmeckendes Kraut zu finden. Satter Bauch ist mit sich selbst zufrieden. Knurrender Magen treibt. Schneller, weiter. Höher? Vielleicht, im besten Fall auch höher.

Hunger ist Sehnsucht. Sehnsucht ist Hunger, der nie gestillt wird.

der Traum

Sie denkt an ihn. Sie denkt ihm nach. Sie denkt ihn her.
Die Gedanken ziehen konzentrische Kreise.
Die Gedanken umringen ihn wie eherne Wächter.

Sie sehnt sich. Sie sehnt sich nach ihm. Sie sehnt ihn herbei.
Die Sehnsucht nagt schwarze Löcher in die Sonne.
Die Sehnsucht zieht sie mit klammen Fingern hinab in den Keller.

Sie lächelt. Sie lächelt für ihn. Sie lächelt ihn an.
Das Lächeln ist der Dorn einer gelben Rose.
Das Lächeln sticht zu, mitten ins Herz.

die Blume

mein Kelch war offen
Licht fiel tief
in meinen Blütengrund
ich rollte mich
verschlief die Nacht und
wachte auf betaut
beglückt gepflückt
von deinem Mund