der schwarze mann

ich werd ganz sicher
nicht davonlaufen ganz sicher
nicht
wenn ich dem schwarzen mann begegne
dann werd ich stehn bleiben
und werd ihn anstaunen
wenn er seinen mantel öffnet
werd ich die augen nicht schließen
sondern werd sehen was zu sehen ist
nicht was ihr denkt
er hat drunter einen braunen sack
voll mit nüssen frisch aufgelesen
und sein mantelfutter ist grün
nicht schwarz wie ihr denkt
und sein mund ist groß und rot
unterm bart er lacht
herzhaft
nicht wie ihr denkt
und aus seinen blauen augen
rollen echte tränen genau solche
wie ihr sie weint
große runde salzige
menschentränen
die fließen in den bach
dann in den fluss dann
ins weite graue meer

Altweibersommer

ich lass mich treiben
in den Herbst
die Wolkenkähne segeln
mir voran
am Boden tragen Nüsse
schon den warmen Mantel
vergoren duften
die gefallenen Früchte
ein Schrei des Habichts
und ich weiß die Tage
stehlen sich davon
ganz leis
ich seh nur noch den
Zipfel ihres Blütenkleids
ich greif danach
und halt ihn
in der Hand nur kurz
dann reißt
der leichte Stoff des Sommers
und Fäden hab ich
in der Hand
Altweiberhaare
weiß

Hörversion: Altweibersommer 

drei Dreizeiler

Morning has broken
wings. Der Reiher breitet
seine Flügel aus.

.

Auf der Landstraße.
Ein Mistkäfer stolpert.
Niemand hält an.

.

Kein Futter mehr.
Die Ziegen meckern.
Der Abendhimmel errötet.

wie bei janosch -

in der guten stube

das herz, es pocht
und breitet seine flügel
türen auf, herein

trittst du, ich bin
schon da, wir machen es
uns ganz gemütlich

bei gänsewein und kuchen
spielen wir das frisch
verliebte paar

zeichnung: jeannette frei

Herbst 2012

Wäre ich frei
Und wüsste, dass auch du
Frei bist, dann wollte ich uns
Auf der Zunge zergehen lassen
Wollte ich Süßes und Salziges
Saueres und Bitteres
Schmecken

Alles wäre mir
Recht, ich äße den Teller
Leer wie in Kindertagen
Und wäre gewiss, dass
Es Sonnenschein gäbe

So aber
Wage ich nur
Zu naschen
Von unsrem Teller

Und ich sehe die Wolken
Aufziehen

hasenherz

drei herzen
wohnen [ach!]
in meiner brust

das eine
schlägt mir bis zum hals

das andere
rutscht mir in die hose

das dritte
öffnet seine fensterläden
weit
für dich

freestyle

zeichnung: jeannette frei

ich / mit dir
mitten
in meinem herzen

ich / mit mir
allein
im innern ring

western dream – für m.

staubige pisten
verwehn
flirrender traum
singender sturm treibt
töchter des monds
herden ziehn mit dem wind
wirbelnder saum
bricht sich
im blau deiner seen

Hörversion: western dream 

himmelssupp

am himmel lauter
weiße riebele
wie in einer blauen himmelssupp
und quer durch schwimmt
der flieger, wohin?
nach berlin, nach wien
hauptsach irgend-
wohin

* riebele sind geriebene, krümelige suppennudeln

Weibs-Bilder IV

Ich sehe sie liegen und wünsche mir, an ihrer Stelle zu sein. Sie ist hingegossen auf den winzigen Strand, voll bekleidet, aber ausgebreitet wie ein offenes Buch. Ich lese in ihr. Ich spüre die Dünen und Senken des Sands, die Wärme des Bodens, den Druck eines winzigen Steins am Schulterblatt. Die Erde hält mich in der Schwebe, sie schaukelt mich träge durch die Stunden.
.

Christopher Street Day vorbei: Sie hockt auf einem Steinpfosten, ihre Hände nesteln die Schnürsenkel der kniehohen Lackstiefel auf. Die sind bonbonrosa und spiegeln im Abendlicht. Sie ist ein Er. Er ist eine Sie. Der Lippenstift ist verschmiert, sie haben bis eben gespielt, dann ist der Vorhang plötzlich gefallen, und das Publikum hat sich auf den Heimweg gemacht. 
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Sie trägt ihr schrillstes T-Shirt. Das soll den schwarzen Schnitter blenden. Er darf nicht merken, wie es in ihr drin aussieht, wie todmüde ihre Knochen oft sind, wie es in ihrem Gebälk knarrt. Ihr bestes Stück ist der Rollator, der begleitet sie überall hin. Sie sind ein Paar. Er hängt sich manchmal am Bordstein auf, dann muss sie ihn befreien. Er ist unsterblich. So gut wie.



der Käfig

ich rüttle an den Stäben
der Zweifel
kratze an den Mauern
der Trägheit
singe an gegen die Angst

Rehherz springt

wo Gedanken sich
in Träume verkleiden, wo
der Tag sich reibt an der Nacht
und der Falter in der Flamme
zischend vergeht

Vogelherz fliegt

wo sich die Wolken
in den Abend jagen, wo
der Tag sich neigt vor der Nacht
und die Sterne den Mond
umringen

Menschenherz sinkt
müd
in deine offene Hand




Prinz

 




















ich trage dich
in meinen Wimpern
auf meine Stirn geschrieben
zwischen den Rippen
auf Händen trag ich dich
und meine Füße tragen
dich und mich

auf meiner Zunge
bist du mir
ein Goldstück
an meinem Ohr
eine roher Diamant
in meinem Herzen
hockst du
märchengrün

ich trag dich immer
bei mir mit mir in mir
selbst wenn du manchmal
wie ein Stein
so schwer mir
fällst

Foto: Isabella Kramer

Sehnsucht

verwischt dir die rasende Landschaft
behält das Rot des Mohns fest im Blick

siebt den groben Kies aus den Stunden
schenkt dir den feinen Film für die Nacht

lässt dich im Traum ein Nest bauen
befiehlt dir morgens Segel zu setzen

filtert den schwarzen Schrei der Herbstkrähe 
aus den ersten Tönen des anbrechenden Tags

treibt ihren Bass wummernd
unter deinen Herzschlag 
-
herbgoldner Honig in deinen Waben
sonnenverliebt




jene 
kleine blaue blume
sie treibt immer wieder
blüten 




Weibs-Bilder III

Sie ist ihm zugeneigt, unbedingt und jeden Morgen. Sie sitzen in der U-Bahn nebeneinander. Sie liest in seiner Zeitung mit. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr. Sie greift nach seiner Hand. Sie wendet sich ihm zu und reibt ihre Nasenspitze an der seinen. Zärtlich. Die Nasen werden von Jahr zu Jahr größer und knochiger. Sie fahren Jahr um Jahr zur gleichen Zeit gemeinsam zur Arbeit. Sie sitzen Jahr um Jahr nebeneinander, spiegeln sich im Auge wechselnder Gegenüber. 

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Wer hat Angst vor Virginia Woolf? - Sie sitzt mitten unter uns. Trägt Schwarz mit weißer Haut und roten Lippen, hält eine Zigarette zwischen den Fingern. Blaue Augen stechen ins Unergründliche. Blauer Rauch steigt ins Unermessliche. Die Kreuzigung der schlanken Knöchel unterm Biertisch ist vom Feinsten.

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Auf schattigem Parkweg eine gertenschlanke Gestalt: wild geblümte Vorhut. Verfolgt von einem Windspiel, das nachhinkt, immer wieder verführt von den Düften am Wegrand. Sie ist schon lange unterwegs, sicher weit über achtzig Jahre. Knöchelhohe rote Stoffturnschuhe zieren ihre mädchenhaften Füße. - Hinter den Büschen winkt das Ziel, eine exklusive Altenwohnanlage.