der schäfer

des schäfers himmel
hing satt 
in seinen blauen augen

mein himmel
war hoch und grau
meine augen hungrig

sie begannen zu grasen
auf des schäfers seen
pflückten den ersten halm

der schmeckte süß
nach frühling

frühlingsliebe

für einen kurzen frühling
warst du mir
das liebste

schwebend im ersten sirren der schwalben
im tausendgezwitscher der amseln taumelnd
von der nachtigall besungen ein traum
hart an der grenze zum tag
verurteilt zu verbleichen
ohne sommer

Die Schuhe

















Sind doch nur Schuhe. Nein, sind Harems-Damen, jede anders gleich, verlockend bunt aufgefächert. Insgeheim darauf wartend ein Individuum zu werden am Fuß, der sie auserwählt. Jetzt noch wie Hühner auf der Stange dem prüfenden Blick der Betrachterin ausgesetzt, die sich nicht entscheiden kann und am Ende alle kaufen will. Sie möchte sogar kaufen, obwohl das Modell ihr überhaupt nicht gefällt, einfach der Farben wegen. Ihr läuft schon das Wasser im Mund zusammen, obwohl Schuhe nicht essbar sind. Aber Spucke gehört zu Lackschuhen, und Lackschuhe gehören in die Kindheitsschublade.  Mit ein wenig Spucke kann frau sie dort leicht aufpolieren.
Sie fühlt sich zurück versetzt, sieht sich märchenhaft schnabelschuhig über persische Teppiche stolpern. Sieht sich von tätowierten Armen eine breite Wendeltreppe hinauf gewiegt, die Schuhe lässig von den Zehenspitzen baumelnd, das silbrige Innenleben schamlos enthüllt. Die passenden Kleider hängen im Baum, die Ringeltauben gurren. Klappe die erste!

Frau zieht sinnend weiter, die Hüften im Kamelgang wiegend. Die Schuhe nimmt sie mit. Sie lagern noch stundenlang eng verschwistert in der Hirnschublade und spiegeln sich in den Augen, zur Schau gestellt für jeden, der einen Blick dafür übrig hat.

Als sie wieder am Schaufenster vorbei kommt, schon am nächsten Tag, rein zufällig natürlich, fehlt … der Rote.

Foto: Jeannette Frei
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närrisches Treiben -
die blauen Augen des Schäfers
weiden sich an den Schafen

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variation
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närrisches Treiben -
ich weide mich an den blauen Augen
des Schäfers
.
 

im Wald

Motorsägen brechen
ins Feuchtbiotop. Ein Schuss
scheucht Krähen aus der Versenkung.
Allein der Habicht hat's gesehen, aber
schweigt. Nur die Vogelfreien
flechten sorglos ihr Klangnetz
in den Wipfeln.

Spuren ins Nichts. Im Nacken
das schwere Atmen eines Joggers.

Der Schock

Als ich erfuhr, dass meine Knochen aus Glas sind, hatte ich erst ein Splittern im Innenohr. Dann ein leises Klirren, ähnlich dem Ton, den eine kleine Eisscholle macht, die sich über eine große schiebt. Die Luft um mich wurde durchsichtiger. Ich blickte dahinter. Alice hinter den Spiegeln wüsste, was ich meine. Der blöde König und seine Königin hoppelten vorbei und drehten mir eine lange Nase. Schadenfroh. Ich zog mich zurück, kehrte meine Scherben auf eine Schaufel und kippte sie dann in den Schlund des alten, gusseisernen Ofens, der plötzlich mein Wohnzimmer besetzt hielt. Genüsslich leckte er sich die Lippen. Fauchend, zischend und Grimassen schneidend fraß er sie auf, schmolz sie in seinem Bauch zu flüssigem Glas und rülpste es in hohem Bogen wieder aus. Es erstarrte mitten im Raum zu knochenähnlichen Stalagmiten, zwischen denen ich spazierte wie im Traum.

Als ich erfuhr, dass meine Knochen aus Glas sind, beschloss ich Glasbläserin zu werden.

Jahreszeiten

niemals verließe ich dich
im Sommer
solange in deinen Augen noch
eine Rose blüht
will ich ihr Dorn sein

niemals verließe ich dich
im Herbst
wenn dein Blick
in braunen Blättern ertrinkt
will ich sein Boot sein

niemals verließe ich dich
im Winter
wenn der Raureif
deinen Blick umflort
will ich ein Hauch sein

niemals verließe ich dich
im Frühling
wenn der verrückte Mond wieder
in deinen Augen tanzt
bin ich die Frau im Mond

Tarantella del Gargano

Sonntag


an der Staustufe
nur das helle Klirren
der Eisschollen

Spatz

Verpasst. Der Anruf kam nicht zur rechten Zeit. Ich dränge mich in die volle U-Bahn. Das Leben baumelt schwer gegen meine Hüfte. Der Boden in der Bahn ist braun versoßt, unappetitlich, übersät mit winzigen Steinen. Unter meinen Sohlen dieses unangenehm reibende Geräusch, als würden die Steinchen mit jedem Schritt grausam zermahlen. Ich sitze endlich, habe einen Platz für meine Füße gefunden, meine schwere Tasche in den Schoß gezerrt. Da hockt sie nun - wie ein müder, fetter, schwarzer Kater. Mein halbes Leben ist darin. Eins kommt zum anderen. Wie lange schon?

Ich warte nicht mehr, der Punkt ist längst überschritten.

Ich blicke hoch und falle in die grünen Augen von Spatz. Spatz, Stammgast in der Bahn, wie immer auf dem Weg zum Schwimmbad. Zierlich, hohe Stirn, feste Wangen, farbloses Haar, heute als gestiefelter Kater verkleidet.
Der Blick.
„Ein lebhaftes Kind haben Sie da“, hat sie einmal zu einer jungen Mutter gesagt. Es klang nicht freundlich. Das Kind war lebhaft. Ihr Blick war kühl.

Ich wende meine Augen ab und spüre, wie sich die ihren in meinem Gesicht gemütlich einrichten. Mein Handy spielt das Lied vom Tod. Ich fange an in meinen Besitztümern zu kramen, weiß schon, dass ich es nicht rechtzeitig schaffen werde. Meine Lesebrille ist in der Manteltasche. Statt auf die Empfangstaste des Handys zu drücken, das ich endlich gefunden habe, wühle ich die Brille heraus, halte auch sie schließlich in der Hand.
„Ihr Taschentuch ist auf den Boden gefallen." Das ist die Stimme von Spatz. 

Ich schaue auf und erhänge mich in ihrem Blick. Mein Handy klingelt immer noch in meiner Hand, ich müsste nur die grüne Taste drücken. Stattdessen bücke ich mich, hebe mein braun versoßtes Tempo auf, stopfe das triefende Etwas zurück in die Manteltasche, würge ein Danke heraus. Das Handy hat seinen Geist aufgegeben.

Mein Blick packt mit beiden Händen zu. Ihrer wendet sich zögernd, widerwillig ab.

Spatz.

verstrickt

Fehlfarben
in Liebe verstrickt
wirken bestrickend
schön
gemeinsam einsam
leuchten sie
wo die Liebe
hinfällt

Sternstunde

ich wollte
über die Sterne schreiben
wollte den närrischen Gauklern
der Unendlichkeit
endlich eine Fassung geben
wollte mich den himmlischen
Fluchtpunkten
nähern mit Worten

sie ließen es nicht zu
sondern schickten mir
ein Bild

Foto: Jim Martin

Herzgeschichten

wenn ich dir etwas zeige
etwas ganz Schönes
erscheint es plötzlich kleiner
in meinen Augen, so
als ob dein Blick es mir
entblätterte und mir
das unscheinbare
Herz enthüllte

wenn du mir etwas zeigst
etwas ganz Kostbares
dann wird es größer
es wächst in mir, entfaltet sich
treibt rote Blüten
das unscheinbare Herz
es macht sich schön
für mich
Kaltfront
Vater erzählt vom Winter
in Russland

foto: www.picturepilot.de