wie ich das alles brauche!

Den Anblick von Mops, der sorgenvoll röchelnd seinen geliebten, roten Gummiring bergauf transportiert. Den herben Duft einer ganz bestimmten - und nur dieser - Achselhöhle. Den Blick riesiger brauner Augen hinter dicken Brillengläsern. Den Rahm auf der Milch und das Knäuschen vom Brot. Das hingebungsvolle Seufzen des Teigs unter den Handballen. Den verhassten Geruch meiner ersten Schule. Und diese unfassbar roten Lippen mitten im grauen November. Das dynamisch ausschreitende Ost-Ampelmännchen und seinen Bruder, den stocksteifen Verkehrsregler in Rot. Beide mit Hut.

Überhaupt: die Farbe Rot. Ich brauche Rot.

Das Bild von Bathseba, soeben dem Bade entstiegen. Ihre Haut perlmuttfarben, zart rosa angehaucht.

Bilder, ich brauche Bilder.

Im Winter einen swingenden Basslauf, der mich wiegt wie eine Sänfte. Im Frühling die musizierenden Frackträger vor meinem Fenster. Und das ganze Jahr diese sehr delikaten Meisen, die den Menschen bewohnen. Jede einzigartig, jede ein Paradiesvogel.

Wie sehr ich das alles brauche!

Es fiele mir noch viel mehr ein, endlos könnte ich aufzählen. Doch was ich jetzt am meisten brauche, das ist der Anblick von Mops, der sorgenvoll röchelnd seinen geliebten, roten Gummiring bergauf transportiert.

im großen Bären

nachts weitäugig 
aufschrecken

das Pfeifen des Winters im Ohr
die eisigen Hände am Ofen
des Herzens wärmen

dunkle Worte flüstern
die du bei Tageslicht
nicht einmal zu denken wagst

ins Schwarze zielend
die Stille um dich
zum Kreisen bringen
.

icy wind -
the bear is dreaming
wide awake

.

Erfolgsgeschichte

um ein Haar verlernten wir das Träumen
als Mutters Stöckelschuhe
uns endlich passten

als wir in Vaters Fußstapfen traten
verloren wir beinahe die Wolken
aus dem Blick

unsere Sehnsucht ging Zigaretten holen
als wir das Herz an den Einen
verschenkten

heute tragen wir Scheuklappen
weil uns die kleinste Regung zu Tode
schrecken könnte

fast
hätten wir es geschafft

wenn nur der rote Muskel
in unserer Brust endlich
Ruh gäbe

der falsche Film

im Hirn halb verdaute Brocken
aus dem Tag gerissenes
Treibgut noch nicht verankert
im Gefühlshafen

über mir die sieche Sonne
kraftlos zwischen den Häusern
hängend kaum mehr
als eine matte Tönung

mein Heimweg ein low-budget Film
verwackelt in Schwarz-Weiß
nachträglich koloriert und
miserabel vertont

fremdeln

ganz in gedanken
steh ich / neben mir

fremdelnd / nicht schwester
nicht freundin nicht / ich
eine mir unbekannte / die

ohne mich / fragend
mit meinem lächeln
in ihren augen / wirbt
um dich

Foto: e. h.
 .
das Telefon klingelt  -
dein Bild auf der Kommode
blickt mich fragend an
.

Suppenküche

Du bekommst etwas, das du eigentlich gar nicht wolltest. Du hast es dir nicht gewünscht, einer hat es dir zugeteilt. Selbstherrlich. Du weißt nicht, wozu es gut sein soll. Du nimmst es hin, eher widerwillig. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Du sitzt am Katzentisch, ein Ausgehungerter, der aus einer Blechschüssel  wässrige Brotsuppe schlürft und sich sicher ist, dass er davon niemals satt werden wird. Du schmeckst das schale Ungenügen, gierst nach dem Schlaraffenland.

Und plötzlich – du hast lange aufgegessen -  kommt der Punkt. Du fühlst dich satt. Du bist satt, angenehm satt. Nicht übermäßig, sondern wohlig satt, wohlgesättigt.  Es fällt dir wie Schuppen von den Augen. Du erkennst, dass du genau DAS gebraucht hast. Dass es gut für dich war. Dass es keine wässrige Brühe war, kein trocken Brot. Dass es dir dient, dich nährt, dich warm hält. Du erkennst seinen Nutzen, ja, vielleicht sogar seine Schönheit.

Einer hat dir Rosen in den Blechnapf geschöpft.
Manchmal geschieht es einfach.

Foto: Jeannette Frei

herbstgewand

herbst umhüllt mich
mit seinem pelz sanft flügelnder motten
in die ich versinke
wie in das weiche moos
am ende der tage

seidenes rotmohnhemd
schlummert schon
     ganz für sich
unberührt leuchtend
leise die sonne noch atmend

herbst umfängt mich
mit seinem umhang raschelnder blätter
in die ich mich grabe
wie in den goldenen mulch
am rand meiner tage
bleib.
nur für eine wortsekunde
einen lidschlag
lang
nimm mich mit
vertäut
in deinen augenwinkeln

Rhythmusstörung

wenn dieser rote Muskel
stockt, aus dem Takt geratend taktlos
balanciert die Welt auf höchstem Punkt
in der Schwebe
wie von Flügeln gnädig gehalten

bis hierher und nicht weiter
zeigt die Ampel
Grün

novembertag

wenn ich beschreiben müsste dann
wäre schal das wort
schal der nachgeschmack dieses tages

es ist nicht so dass keine aussicht mehr
bestünde auf einen lichtblick
die sonne hat immer eine neue
chance zu fallen durch die löcher
in der grauen wolkendecke nur

scheint sie zu zögern ... vielleicht

bringt sie sich morgen wieder
an den tag

Schwarzer Vogel Tod

Pickt das Herzstück heraus
Zartes Rot zergeht ihm auf der Zunge
Wie ein Gedicht
Mit verzückt geschlossenen Augen
Den Kopf genüßlich zurückgelegt
Lässt er Leben
Durch die Kehle rinnen

Foto: (c) Katrin Schäflein www.picturepilot.de

monochrom